Prantl Karl

Über den Künstler

Biografie

Karl Prantl, 1923 in Pöttsching im österreichischen Burgenland geboren, studierte, aus dem Krieg zurückgekehrt, von 1946 bis 1952 an der Wiener Akademie der Bildenden Künste Malerei bei Albert Paris Gütersloh, also nicht Bildhauerei. Dennoch begann Karl Prantl mit ersten plastischen Arbeiten schon 1950/51.

Es entstehen überlebensgroße Werke aus Lindenholz, auch eine Reihe kleinerer Arbeiten. Er schließt sich der Künstlergruppe „Der Kreis“ an, Studienaufenthalte in Rom und Griechenland folgen in den nächsten Jahren.

1958 erhält er von der burgenländischen Landesregierung den Auftrag zu einem 2,60 m hohen geometrisch geformten Grenzstein (260 x 220 x 80cm), der an der österreichisch-ungarischen Grenze bei Nikelsdorf aufgestellt wurde. Über die durchbrochenen Breitseiten bindet sich die Welt diesseits und jenseits der Grenze ein. Als Modell diente ihm ein bereits 1952 konzipierter Sandstein „Zeichen I“ (35 x 34 x 14 cm).

Dies ist noch eine Besonderheit, denn alle späteren Werke schuf er direkt aus dem Stein, ohne vorherige Zeichnung oder Modell. Der Grenzstein entstand in der ganz besonderen Atmosphäre des uralten Römer-Steinbruchs St. Margarethen und Prantl entdeckte, dass die Arbeit in der freien Natur andere Bedingungen zu erfüllen habe als die im Atelier. „Es ist anders als in Museen: die Begegnung mit so einem Stein in der Landschaft zeigt anderes Erleben: man erlebt auch den Baum, das Gras, das Moos und die Wolken.“ (Hartmann 1988, S. 121)

In ihm reifte die Idee, auch anderen Bildhauern hier die Arbeit zu ermöglichen. So wurde er zum Initiator und Spiritus Rector der Bildhauersymposien, die sich bis heute weltweit verbreitet haben. Sie haben wesentlich zur Erneuerung der Steinbildhauerei beigetragen. 1959 kamen auf Einladung von Karl Prantl elf Bildhauer aus acht Ländern in den Steinbruch nach St. Margarethen, um dort während des Sommers zu arbeiten. Denn Prantl war es gelungen gemeinsam mit den Freunden, dem Bildhauer Heinrich Deutsch und dem Psychologen Dr. Friedrich Czagan, durch unermüdliche Überzeugungsgespräche bei Regierung und Verwaltung die Genehmigung zur Arbeit im Steinbruch zu erhalten und Sponsoren zu finden.

Bis 1976/77 schlossen sich jährliche Symposien an, die bis auf eine kurze Unterbrechungszeit alle unter seiner Organisation stattfanden. Die Bildhauer gründeten den Verein „Symposion Europäischer Bildhauer, St. Margarethen“, dem Karl Prantl lange Jahre bis zu seinem Tod 2010 vorsteht. So galt seine Sorge immer dem riesigen Gelände, auf dem 57 Steine von Bildhauern aus aller Welt zu finden sind. „Die Steine sollen dort stehen bleiben, wo sie geschaffen wurden und für alle Menschen da sein….“ bestimmte Prantl.

Nicht mehr eingeengt durch Rituale, akademische Vorschriften, figürliche Bildvorstellungen, geprägt durch die Erfahrungen eines grauenhaften Krieges und der geistigen wie körperlichen Freiheits-beraubung entstand ein Zeichen für die schöpferische Kraft gemeinsamen Tuns, für die Aussöhnung und Verständigung der Völker mit Hilfe der Kunst. Und schließlich verbindet sich mit jedem einzelnen Stein auch die Biographie eines ganzen Menschenlebens, die mit Anteilnahme und Respekt zu behandeln ist. Die Idee der Freiheit wird konstitutiv für sein Schaffen. „An uns Bildhauer selber gedacht ist es so, dass wir durch die Erfahrungen von St. Margarethen, durch dieses Hinausgehen in den Freiraum – in den Steinbruch, auf die Wiesen – wieder frei wurden. Um dieses Freiwerden oder Freidenken in einem ganz weiten Sinn ging es. Für uns Bildhauer ist der Stein das Mittel, um zu diesem Freidenken zu kommen – zum Freiwerden von vielen Zwängen, Engen und Tabus.“ (Hartmann 1988, S. 121)

Es folgte in den nächsten Jahrzehnten die Teilnahme an Symposien, in Amerika, Japan, in der Wüste Negev oder Indien, immer wieder in St. Margarethen und vielen anderen Orten in Österreich und Deutschland. Ich verweise nur auf seine Teilnahme an den hiesigen Symposien in Merzig und St. Wendel. In seinem Lebenswerk nehmen sie einen herausragenden Stellenwert ein, zeitweise stellten sie wohl auch dessen Mittelpunkt dar. Jedenfalls folgte er dem Ruf auf eine Professur in München nicht, um sich auch weiterhin ungestört den Symposien widmen zu können.

Darunter waren auch solche, die neben der gestalterisch-künstlerischen Dimension ganz eindeutig auch eine politische oder eine religiöse einnehmen. Etwa das nach der Errichtung der Berliner Mauer spontan ins Leben gerufenes Symposion, „um damit dem trennenden Wall der Gewalt die verbindende humane Botschaft der Bildhauer entgegenzusetzen, die unweit der Mauer auf dem Platz der Republik arbeiteten und dort ihre Steine errichteten.“ Prantl schuf eine Stele zur Anrufung. Die raue, wellige Oberfläche des Kalksteines zeigt an den Seitenflächen die sichtbaren Spuren des Herausbrechens, eine schmerzhafte Wunde, wie sie auch der Stadt Berlin zugefügt wurde? Doch durch drei zylindrische Öffnungen dringt wie ein Wunsch nach Erleuchtung das helle Außenlicht in das dunkle Innere des Steines.

Auf dem Symposionsgelände im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen steht ein mehr als sechs Meter hoher, überschlanker Granit zur Meditation. Drei Reihen unterschiedlich großer hügeliger Erhebungen steigen dicht gedrängt nebeneinander nach oben und verbinden sich hier mit dem Firmament. Seit dem Symposium Urbanum in Nürnberg 1971 beschäftigte sich Prantl mit den Steinen der „Großen Aufmarschstraße“ auf dem Reichsparteitagsgelände. Prantl sah in den Steinen Zeugnisse menschlicher Arbeit, menschlichen Leidens und Schicksals. Er bemerkte die Spuren des Gebrauchs und entdeckte unter der so gleichartig scheinenden grauen Oberfläche die Schönheit und Qualität der Steine. Zwanzig Jahre später fügte er vierzehn dieser quadratischen Steine mit einer Kantenlänge von 120 cm zu einem Kreuzweg zusammen, der in den Boden neben der St. Lorenz Kirche eingelassen wurde.

Mehrfach erhielt Prantl Aufträge zur Ausgestaltung von Kirchen, vielleicht dem öffentlichsten und gleichzeitig behütetsten Raum überhaupt. 1967 schafft er für die Pfarrkirche in Wernstein den Altar, Tabernakel, Taufstein und das Grab Alfred Kubins, 1994 einen Steinaltar für die Leechkirche in Graz. Für die Heiligkreuzkirche in Langholzfeld bei Linz erarbeitet er Altar, Tabernakel, Ambo, Taufstein und einen Kreuzweg aus vierzehn in den Boden eingelassenen Steinplatten. Den Kreuzweg in der Kirche in Sargenzell lässt er ebenfalls in den Boden ein und betont so den Wegcharakter, nicht die einzelnen Stationen. Und wenn er in Bentheim am Kloster Frenswegen die Platten zu einem 33 m langen Weg zusammenfügt, den ein Lindenhain begleitet, sieht er die einzelnen Steine nicht nur als Stationen auf dem Leidensweg eines Menschen. Sie weisen hinaus in die Weite des Landschafts- und Naturraumes und gehen ein in die Ewigkeit. So liegt auch im Landschaftsgarten der Sammlung Lenz Schönberg in Tirol seit den 1980er Jahren ein Kreuzweg.

Auch unabhängig von Symposien oder kirchlichen Auftraggebern schuf Prantl viele große Werke. Nur wenige seien genannt. Ein langer liegender Marmorblock begleitet einen Wiener Straßenzug vor der Universität. Die Reihen hügeliger Wölbungen an den Seitenkanten und in der Mitte der Seitenflächen erzeugen, analog zum Verkehrsfluss, auch im perspektivischen Kleinerwerden die Wirkung einer ständigen Bewegung. Ein fast quadratischer Block aus rotem russischen Granit liegt als einladender Tisch unter Bäumen auf dem Campusgelände in Gießen. Seine Oberfläche zeigt ein Relief aus sorgfältig modellierten Rechtecken, die perspektivisch in alle Richtungen verschwinden. Ein strenger Block, ein allseits quadratischer Quader mit abgerundeten Kanten aus Norwegischem Labrador steht im Skulpturengarten der Stadt Nürnberg. Die glänzend polierte Oberfläche schimmert wie ein polierter Edelstein, verleiht dem Stein eine fast schwebende Leichtigkeit. Seine Körnung, seine Adern rufen ein vielfältiges Muster hervor, die Farbe schwankt zwischen Blaugrün und Bläulichweiß. Die „Augen“ im Stein, sein Unzerstörbares, wie Prantl sagt, blicken den Betrachter an, fordern ihn auf, sich in den Stein zu vertiefen, ihn wie eine Landschaft zu empfinden, die mit der großzügigen Weite des Gartens, mit dem Baum, dem Gras und der Architektur des Stadtgrabens harmoniert.

Seit 1978 bewohnt Karl Prantl das elterliche Haus in Pöttsching im österreichischen Burgenland. Einige Straßen davon entfernt baute er sich auf einem familieneigenen Acker sein Atelier und auf dem langgezogenen Feld dahinter versammelt er seit 1986 seine Steine. Das „Pöttschinger Feld“ ist  Prantls ganz persönlicher Skulpturengarten, in dem er lebt und arbeitet, seine Steine immer wieder von neuem beobachtet und wahrnimmt, sich an ihnen erwärmt, ihre Kälte spürt, seinen täglichen Dialog mit ihnen führt und den er natürlich auch Besuchern öffnet. „Wir haben ein langes Feld, und da sind die Steine, die Kirschbäume. Das ist unser Arbeitsplatz. Ein paar Steine stehen fest, die werden dort Wurzeln schlagen, hoffentlich. Aber es gibt ja keine Endgültigkeit in diesen Dingen. Und da gehen wir spazieren – manchmal in der Früh, bei Sonnenaufgang, oder abends, und die Besucher natürlich auch – und erleben die Steine mit dem Wachstum, mit all dem, was die Bauern für uns tun. Die Landschaft ändert sich ja mit der Temperatur, die schaut im Frühjahr hellgrün aus, dann wird`s gelb, jetzt ist sie braun, dann ist nur das Geäst da.” (Prantl, Interview 7, 1999, S. 11)

Prantl hat diesen, seinen Streifen Land, der sich ein paar hundert Meter in der Tiefe erstreckt, mit einer Baumallee bepflanzt, mit einer Hecke abgegrenzt, hat Nadelhölzer und Büsche, Kirsch- und Nussbäume gesetzt und so auch je eigene Orte für seine Steine geschaffen, obwohl sie nicht bewusst inszeniert aufgestellt wurden. Sie treten ein in einen Dialog mit den Feldern, den Bäumen, den Wolken, der Wind streicht über sie hinweg, das Licht umspielt sie. Hier findet Prantl seine Vergleichsbeispiele, um seine Vorgehensweise dem Unkundigen zu erklären. Wie eine Nuss im Laufe eines Sommers heranreift, dann geöffnet, aufgebrochen werden muss, um den Kern zu entdecken, so legt auch er behutsam seine Steine frei, um ihr Inneres, das in Jahrtausenden gewachsen ist, zu zeigen.

Kein Werk ist wie das andere, auch wenn Prantl bestimmte Themen und Typen häufiger variiert. „Zeichen“, „Kreuzweg“, viele seiner Steine nennt er „Anrufungen“, andere „Meditationen“, jeder einzelne ist dennoch einzigartig. Die Vielfalt, der Reichtum und die Schönheit seiner Steine erwächst aus dem Staunen und der Demut vor der Unbegreifbarkeit der Schöpfung, beruht auf dem Ernstnehmen des Steines, seiner Eigenarten, seiner Struktur und seiner Farben. Prantl verweist im Gespräch immer wieder darauf: der Stein ist uralt. Er kommt in der Schöpfungsgeschichte zuerst, dann der Baum und erst danach das Tier und zum Schluss der Mensch, der aber als erster die Welt wieder verlassen muss. So ist für Prantl der Stein ein lebendiges Wesen, das aus der Erde geboren, in fernen Zeiten einmal wieder zu Staub zerfallen wird. Sein Inneres entstand aus Ablagerungen, Sinterungen, aus Druck- und Verschmelzungsprozessen. Die Sprache, das innere Leben  des Steines, seine Zusammensetzung, Farben, Einschlüsse, Adern, Verwerfungen hört und entdeckt der Steinbildhauer Prantl beim geduldigen Anschauen und Befühlen, Tasten, Streicheln,  um sie dann  durch die behutsame Bearbeitung sichtbar für sich und andere zu machen. Es gibt stereometrisch geformte Steine – aufragend, stehend, liegend – Ringe, Kugeln, Scheiben und es gibt die in sich geschlossenen Blöcke, die keinem kubischen Diktat unterworfen sind.

Bei vielen Steinen sind die Spuren des Bruchs bewahrt, bei anderen die Oberflächen so lange geschliffen und poliert, bis sie wie eine Haut den Stein umhüllen und die Farben des Steines erstrahlen können, das Blaugrau des Labradors, das Rot, Blau oder Schwarz eines Granit, das Grün eines Serpentin, das Weiß eines Marmors. Adern, Einschlüsse, Augen werden durch den Schleifprozess sichtbar. Zylindrische Öffnungen weisen in das dunkle Innere. Prantl zeichnet die Bewegungen des Steines, seine Schwellungen und Einbuchtungen behutsam nach. Mulden, Höcker, Rillen und immer wieder die Reihen hügeliger Erhebungen – Perlenketten gleich, häufig auch als Rosenkranz angesprochen, – gliedern die Steine, rhythmisieren sie, akzentuieren bestimmte Partien, schmücken sie. In seinen Werken verbindet sich schließlich auch das innere Leben des Steines mit der Leiberfahrung des Menschen. Sie fließt ein im Aufragen von Vertikalen, in der Ausbreitung von Horizontalen, im Sich-Öffnen von Konkavem.

Seinen ersten Symposions-Stein 1959 in St. Margarethen meißelt Prantl aus  Kalksandstein „Fünf Anrufungen“, einen 330 cm hohen, nach oben leicht sich verjüngenden aufragenden Block mit fünf übereinander aufsteigenden großen zylindrischen Öffnungen in seiner Mitte, die sich dem Betrachter in wachsender Untersicht darbieten. Auf andere Weise, im aufregenden Erleben einer wechselnden Zusammenschau, öffnet sich dem Betrachter der streng geschlossene schlanke, hoch aufragende Meditationsstein von 1985 -91 aus grautonigem

Norwegischem Labrador, an den Kanten sanft gerundet. Die Seitenflächen sind streng geschlossen, aus Vor- und Rückseite jedoch, wenn man sie überhaupt so bezeichnen kann, wölben sich die senkrechten Ketten von zweiundzwanzig Halbkugeln hervor. Sie werfen im wechselnden Licht ihre Schatten auf die, einer spiegelnden Wasserfläche ähnlich, glänzend polierte Steinhaut und vollenden sich zu Kugeln. Versenkt sich der Betrachter, schaut er in die glitzernden Augen des Steines wie in die Weite eines Sternenfirmaments.

Prantls Steine sind nie beliebig. Sie regen zum Schauen und Denken an, „Meditation“, der von Prantl für seine Steine am liebsten, in den letzten Werken ausschließlich gebrauchte Begriff, meint sich gegenseitig förderndes und steigerndes Denken und Schauen. Ich sagte es schon, Prantls Steine entstehen aus dem Staunen und der Demut vor der Schönheit und Fülle der Natur. Sie lassen den Betrachter teilhaben an diesem Staunen. Dichter haben es in Worte gefasst, Friederike Mayröcker schrieb: „Aus einem Stein entsprungen, aus einem Verwandschaftshimmel“, Musiker in Töne umgesetzt. Friedrich Cerha widmet ihm sein Orchesterstück „Monumentum“ und komponiert „Ein Stück für K“.

Prantl wurde mehrfach durch Preise geehrt. Schon 1968 erhielt er den Bildhauerpreis der Stadt Wien, der österreichische Biennale Pavillon Venedig 1986 zeigte ausschließlich sein Werk. Er ist Mitglied der Wiener und der Münchner Akademie der Künste. Sein Werk wurde und wird in Galerien und Museen auf der ganzen Welt gezeigt. Sie standen im Schlosspark Ambras oder im Yorkshire Sculpture Park, versammeln sich in großen Privatsammlungen. Karl Prantl erzählt von einem Text, den er bei Ingeborg Bachmann gefunden habe. Er ist für ihn so etwas wie sein Glaubensbekenntnis: Ingeborg Bachmann spricht darin von drei erhaltenen Stein-Botschaften, einem rotem, einem blauen und einem weißen Stein. Der erste, der rote Stein fordere auf, staunend zu leben; der zweite, blaue Stein, staunend zu schreiben, oder, in Prantls Fall, staunend zu bildhauern. In dieser Phase befände er sich zurzeit noch bevor ihn die dritte Botschaft erreichen werde, der weiße Stein: staunend hinüberzugehen. Aber das wird noch lange nicht sein.

Marlen Dittmann

Rede anlässlich der Verleihung des Sparda Bank-Preises für besondere Leistungen der Kunst im öffentlichen Raum im Kurfürstlichen Schloss Mainz am 3. Mai 2007

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Kuenstler